Dass sich der Staat gegenüber kulturellen Identitäten und religiösen Traditionen neutral verhalten soll, ist eine der Kernüberzeugungen des Liberalismus. Gehaltvolle Menschenbilder mit prononcierten Aussagen zur Natur des Menschen, zur Rolle von Tugenden im öffentlichen Raum sowie Ideale des guten Lebens gelte es im Raum des Politischen einzuklammern. Die politische Philosophie des Perfektionismus kritisiert diese Überzeugung intensiv und wird im englischsprachigen Raum von zahlreichen prominenten katholischen Stimmen vertreten.
Christoph Henning hat 2015 ein Buch über den „Perfektionismus“ geschrieben, das soeben den „Max Weber Preis“ des Max-Weber-Kollegs Erfurt erhalten hat. Dieses Werk legt eine Rekonstruktion der jüngeren philosophische Debatte zum politischen Perfektionismus vor und erarbeitet im Rückgriff auf klassische Autoren und emanzipatorische Bewegungen eine originelle Verteidigung eines zeitgemäßen egalitären und liberalen Perfektionismus. Dabei versucht der Autor einen Weg zwischen der Verabschiedung von Theorien des „guten Lebens“ im Rawlsianischen Liberalismus und dem Festhalten an konventionellen Theorien des Guten, die unter Repressionsverdacht stehen, indem er – in kritischer Auseinandersetzung vor allem mit amerikanischen Neuansätzen (von Thomas Hurka, Steven Wall und George Sher etwa) – Freiheit, Gleichheit und Entfaltung als Wertetrias rehabilitiert. Dies geschieht in einer historischen Rekonstruktion im Rückgriff u.a. auf Aristoteles und Tugendethiker wie MacIntyre, auf Rousseau und die radikale Aufklärung, auf den Pragmatismus und Marxismus sowie die „positive Psychologie“.
Im Gespräch mit dem Jesuiten Dr. Patrick Zoll SJ gibt der Streit um Perfektionismus und Liberalismus nochmal Anlass, um die Rolle von Religionen für das Funktionieren demokratischer Kultur in Deutschland wie Europa zu befragen.