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Kann man sich Sisyphos noch als einen glücklichen Menschen vorstellen?

Absurdität und Theologie in der Gegenwart
Termin: 30.09.2024 – 02.10.2024
Beginn: 10:00 Uhr
Ort: Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin
Jahrestagung 2024 der Deutschen Sektion der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie (ET)

Hat das Ganze einen Sinn? Können wir dem Leben eines Individuums, der Ordnung einer Gesellschaft, der Welt als solcher eine Bedeutsamkeit unterstellen, die über sie hinausweist? Oder gilt es vielmehr anzuerkennen, dass Willkür, Widersinnigkeit und Bedeutungslosigkeit das letzte Wort haben? Diese Fragen, die in der Geschichte der Literatur, Kunst und Philosophie klassischerweise unter dem Stichwort des Absurden verhandelt werden, verschaffen sich angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation eine neue Relevanz. Konnte unter den Denkvoraussetzungen der Vormoderne und der logischen Systeme der Moderne das Absurde als die von einem Vertrauen in Gott, in die Ordnung des Kosmos oder in die Vernunft ausgeschlossene (logische wie existentielle) (Un-)Möglichkeit fungieren, so zerbricht solche Sinngewissheit in den beiden Weltkriegen, verlieren im Zivilisationsbruch der Shoah ihre Unschuld.
In nochmals anderer Weise scheint uns die Gegenwart von Erfahrungen der Absurdität geprägt: wurde nach 1989 das „Ende der Utopien“ (Fest) oder gar das „Ende der Geschichte“ ausgerufen, so hat sich im Zeichen von Krisen und ökologischer Katastrophe die Zukunft zu einem Raum unwägbarer Risiken und drohender Schrecken gewandelt. Terror und „Krieg gegen den Terror“, die politischen Legitimationsfiguren der „Alternativlosigkeit“ und eines auf Dauer gestellten Ausnahmezustands, die populistische Vereinnahmung von Begriffen entgegen ihrem Ursprungsgehalt, die wachsende Polarisierung und Desintegration der Gesellschaft, die Wendung zum Autoritären und die Eskalation kriegerischer Gewalt lassen sich als Symptome lesen, welche auf die Notwendigkeit einer neuen Auseinandersetzung mit der Kategorie des Absurden verweisen.
Dabei scheint sich die Frage nach dem Absurden – nach einer möglichen letzten Sinnlosigkeit, Widersprüchlichkeit oder Belanglosigkeit der Wirklichkeit – aktuell in einer eher unterschwellig-alltäglichen und impliziten Weise zu stellen. Sie begegnet in fragmentarischer oder atmosphärischer Gestalt, als ästhetische und kulturwissenschaftliche Kategorie, als Groteske und Farce, als untergründige Begleitmusik, die vielleicht wirksam ist, wenn Ironie in Sarkasmus, Melancholie in Depression, Empörung in Gewalt umschlägt – oder die umgekehrt Protest, Engagement, Widerstand oder existentielle Ergebung und Annahme des Widersprüchlichen und Vergeblichen provozieren kann. Wird im Hinblick auf diese impliziten Formen der Begriff des Absurden verwendet, so geschieht dies vielfach in einem weiten Sinn, der von einer absoluten Sinnnegierung bis hin zu einem unbestimmten Lebensgefühl reicht. Diese Ambiguität lädt dazu ein, die Verwendungsformen, Implikationen und Konsequenzen des Absurden begrifflich zu systematisieren.
Diese Einladung ist umso dringlicher, als nicht nur die Frage nach dem Absurden, sondern womöglich auch die einschlägige Antwort auf diese Frage an Plausibilität verloren hat. Für Albert Camus bestand diese Antwort bekanntlich darin, sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorzustellen und das Absurde als erste Wahrheit. Allerdings stellt aktuell nicht allein die unverfügbare conditio humana als solche einen Anlass von Absurditätserfahrungen dar. Vielmehr sind auch menschengemachte gesellschaftliche Krisen strukturell davon geprägt, dass viele Errungenschaften, wie etwa Aufbrüche zu einer internationalen Staatenordnung oder zu freiheitlich-demokratischen Grundordnungen, von regressiven Tendenzen in Frage gestellt werden. Ähnlich verhält es sich in der Theologie, in der jahrzehntelange Arbeit durch amtliche Nichtrezeption in Vergessenheit zu geraten droht. Zahlreiche Steine, die in der Geschichte schon einmal den Berg hochgerollt wurden, scheinen erneut herunterzurollen. In vielem muss immer wieder im großen Stil von vorn angefangen werden – und weitaus nicht immer reicht die Imagination der Beteiligten so weit, dass sie sich dabei als „glückliche Menschen“ wahrnehmen könnten.
Die Tagung fragt daher danach, ob der Begriff des Absurden jenseits einer unbestimmten Weltwahrnehmung zur Umschreibung gegenwärtiger Gesellschaft trägt und was die Theologie dazu beitragen kann. Was den zweiten Aspekt dieser Frage betrifft, wird dabei von einer eigentümlichen Doppelrolle der Theologie auszugehen sein. Einerseits nämlich erscheint die Theologie potenziell als ein Vorrat kontrafaktischer Denkfiguren, der – gegen allen Augenschein – die Sinnhaftigkeit aller Wirklichkeit zur Geltung bringen könnte. Dieses Potenzial kann – so die Ausgangsvermutung – auch dann behauptet werden, wenn Camus‘ Einspruch gegen den Gottesglauben ebenso ernst genommen wird wie der nachmetaphysische oder zumindest metaphysikkritische Abschied von allzu großen Erzählungen. Herausfordernd ist dies allerdings nicht zuletzt deshalb, weil sich die Theologie andererseits faktisch geradezu als Inbegriff des Absurden erweisen kann. Nicht zuletzt die Tatsache, dass eine auf den Gedanken der Kenosis gegründete Wirklichkeitsdeutung den Missbrauch von Macht auf so unterschiedlichen Ebenen wie der kolonialen Geschichte und der innerkirchlichen Gegenwart stützt, wirft in diesem Sinne unweigerlich die Frage nach Sinn und Unsinn theologischer Theoriebildung auf.
Gerade aufgrund dieser widersprüchlichen Rolle der Theologie im Angesicht des Absurden ist die Auseinandersetzung mit Absurdität kein nur binnentheologisches Thema. Vielmehr stellt sich die Frage, ob nicht gerade die ungelöste, aber durchaus intime Beziehung zwischen der Rede von Gott und dem Gedanken der Absurdität die Theologie dafür qualifiziert, Teil einer gesellschaftlichen Debatte zu sein, die sie ihrerseits mit anstößt.
Gibt es innertheologische Antworten, gar unentdeckte theologische Ressourcen auf die Absurdität? Ist Theologie selbst absurd? Gibt es einen innertheologischen Bedeutungsvorrat, um Absurdität zu markieren? Wie könnte eine Theologie des Absurden aussehen? Wie könnte sich die Theologie jenseits von Binnendiskussionen konstruktiv in den theoretischen wie praktischen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Umgang mit Absurditäten einbringen? Fragen dieser Art stehen im Mittelpunkt der Jahrestagung 2024 der Deutschen Sektion der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie (ET).
Daher ist ein dreistufiger Aufbau geplant:
• Im ersten Schritt soll im interdisziplinären Gespräch die Frage geklärt werden, was Absurdität angesichts der Ambiguitäten gegenwärtiger Wirklichkeitswahrnehmung und -deutung meinen kann und wie sich das Konzept zu angrenzenden Konzepten (Paradoxie, Aporie, Sinnlosigkeit, Widersinnigkeit, Nihilismus…) verhält.
• In einem zweiten Schritt werden grundlegende Konturen einer Theologie des Absurden skizziert. Den Ausgangspunkt bilden hier drei Stationen aus der Theologiegeschichte, die mit Blick auf möglichst präzise theologiegeschichtliche Anschlussstellen zwischen menschlicher bzw. gesellschaftlicher Existenz und Theologie vorgestellt werden.
• Der dritte Schritt, der das Herzstück der Tagung darstellt, wird ergebnisoffen mögliche theologische Umgangsweisen mit dem Konzept der Absurdität thematisieren. Dabei wird das Augenmerk besonders auch auf einen inter- und transdisziplinären Beitrag der Theologie(n) zu gesellschaftlichen Herausforderungen gelenkt.

Referenten
Gastreferenten
Dr. Heribert Prantl
München
Prof. Dr. Annette Langner-Pitschmann
Frankfurt/ M.
Dr. Sarah Rosenhauer
Berlin
Prof. Dr. Michael Quisinsky
Freiburg
Prof. Dr. Martin Nitsche
Frankfurt/ M.
Prof. Dr. Martin Kirschner
Eichstätt
Prof. Dr. Isabella Guanzini
Linz
Prof. Dr. Ingolf Dalferth
Claremont/USA
Prof. Dr. Daniela Blum
Tübingen
u.a.
Prof. Dr. Knut Wenzel
Frankfurt/ M.
Prof. Dr. Karlheinz Ruhstorfer
Freiburg
Verantwortlich
Dr. Stephan Steiner
Referent
+49 30 28 30 95-151 E-Mail schreiben
Kooperationspartner
Deutsche Sektion der Europäischen Gesellschaft für katholische Theologie (ET)
Anfahrt
Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Str. 5, 10115 Berlin
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