Wenn wir im Alltag von der Freiheit unseres Willens sprechen, so meinen wir oft die Fähigkeit, unter denselben Umständen anders handeln zu können. Diese Willensfreiheit setzen wir voraus, wenn wir einen Menschen für seine Handlungen loben oder tadeln: Gerade weil Menschen frei sind und in derselben Situation auch anders hätten handeln können, können sie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Ohne Freiheit gäbe es keine Schuldfähigkeit des Menschen, die Rede von einer Verantwortung für unsere Taten wäre sinnlos. Willensfreiheit ist somit nicht nur ein unverzichtbarer Bestandteil unseres Menschenbildes, sie ist auch das anthropologische Fundament unserer Gesellschaftsordnung.
Die von uns als selbstverständlich angenommene Willensfreiheit ist heute Gegenstand neurowissenschaftlicher Untersuchungen: Ein besonderer Stellenwert kommt hier den Forschungen des US-Amerikaners Benjamin Libet zu. Seine Studien deuten darauf hin, dass unsere Handlungen neuronal vorbereitet werden (Bereitschaftspotential), bevor sie uns als Entscheidungen bewusst werden. Neurowissenschaftler, Psychologen und Philosophen folgerten daraus, dass wir nicht tun was wir wollen, sondern wollen, was wir tun (W. Prinz). Die Annahme von Freiheit und Schuldfähigkeit sei wissenschaftlich nicht mehr haltbar, da wir nicht für das verantwortlich gemacht werden können, was unser Gehirn tut.
Großes Aufsehen erregte deshalb vor kurzem eine Studie Berliner Hirnforscher aus der Gruppe um John-Dylan Haynes (Bernstein Center for Computational Neuroscience), welche zeigen, dass die der Handlung vorausliegende Gehirnaktivität unser Verhalten keineswegs determiniert. Die Versuchspersonen konnten ihre Handlungen noch ändern, selbst wenn das Gehirn eine bestimmte Bewegung eingeleitet hatte. [FAZ, 30.1.2016]
Bei der Tagung „Anthropologie der Freiheit“ wird John-Dylan Haynes in einem öffentlichen Vortrag die Experimente seiner Forschergruppe präsentieren und die Resultate zur Diskussion stellen. In einem sich daran anschließenden Studientag loten namhafte Fachleute aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen nicht nur die Tragweite derartiger Studien für Menschenbild, Rechtsprechung, Theologie und Medizin aus. Die Pluralität der methodischen und inhaltlichen Ansätze soll darüber hinaus einen fruchtbaren Dialog zum Thema Willensfreiheit und der gesellschaftlichen Relevanz des Freiheitsdiskurses ermöglichen.
Interne Studiengruppe. Interessenten melden sich bitte bei Dr. Stephan Steiner (steiner@katholische-akademie-berlin.de).