Noch vor wenigen Jahren hätte eine Tagung, die Heimat zum Thema des gemeinsamen Nachdenkens erhebt, weitreichendes Befremden ausgelöst: Wer sich nicht für Volksmusik interessierte, in Vertriebenen-Verbänden engagierte oder aber als Amateurhistoriker seine Umgebung unsicher machte (Stichwort: „Heimatforscher“), führte die vermeintlich politisch heikle Vokabel kaum im Mund – allzu sehr war „Heimat“ ein von der deutschen Geschichte belasteter Begriff, schien auf befremdlichen Nationalstolz zu verweisen bzw. die im Kleinbürgertum vermuteten Abgründe eines regionalen Chauvinismus hochleben zu lassen. In den letzten Jahren aber hat sich die Lage geändert. Angesichts der Herausforderungen, die europäische Integration, Globalisierung, beschleunigte Individualisierung und die Erfahrung des Zusammenlebens mit Menschen, die Migration erlebt haben, an die Zeitgenossen stellen, muss man sich nicht wundern, dass die Frage nach Beheimatung die gesellschaftliche Tabu-Zone verlassen hat und auf diesem Wege auch „Heimat“ weniger obskur erscheint als noch in den 1970ern.
Einen Ausgangspunkt der Überlegungen unserer Tagung bilden jene jungen Menschen, die heute selbstbewusst von ihrer Heimat zu sprechen bereit sind, auch wenn nicht sofort klar wird, was hiermit genau gemeint ist – Orte der Kindheit, Vaterland, Herkunftsregion oder jener Kulturraum, dem man sich zugehörig fühlt. Zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung wächst jedenfalls, so unser Eindruck, eine Generation heran, die freimütig bekennt, den Ort ihrer Kindheit zu lieben, auch wenn Manche ihn dann später berufsbedingt oder einer anderen Liebe halber verlassen (müssen). Heran wächst eine Generation, die angesichts der kulturell vervielfältigten Rede vom Fremden den eigenen Sehnsüchten nach Zugehörigkeit ein Gesicht, eine Gestalt und manchmal auch einen Namen geben möchte, die Heimat nicht als Folklore und nicht als ideologischen Kampfbegriff begreift, sondern mit dem Begriff ein Gründungsmoment der eigenen Seele und Identität bezeichnet.
Wer heute mit jungen Menschen arbeitet, muss sich, so behaupten wir, angesichts dieses Wandels mit der Frage auseinandersetzen, welchen Zugang er selbst zum Themenfeld Heimat-Beheimatung hat bzw. haben möchte: Wie halte ich es selbst mit Deutschland, mit der Region, aus der ich stamme und der, in der ich lebe? Nehme ich Heimat in der Muttersprache, meiner Biographie oder meinem Kulturraum wahr? Ist Heimat bloße Utopie, Erinnerung an jenen Kindheitsort, den man nie mehr wiedersehen kann? Angesichts der (traditionellen) Politisierung des Begriffs Heimat könnte man nun befürchten, dass seine Aufladung als Seelenkategorie geradezu selbst ein Anlass zur Sorge und zur Distanzierung sein müsste. Gegen solche Befürchtungen stellen wir die Hoffnung, dass mit dem Begriff vielmehr Ressourcen des „Selbst-gewahr-werdens“ verbunden sind, die in sozialer, kultureller und politischer Hinsicht für unser Leben in „modernen“ Lebensverhältnissen von Bedeutung sind.
In die deutsche Hauptstadt laden die dort ansässige Katholische Akademie und die Akademie der Katholischen Landjugend deshalb zu „Exerzitien“ ein: zu Übungen im Umgang mit dem politisch aufgeladenen Begriff Heimat und zur kritischen Reflektion der so gemachten Erfahrungen für die eigene Arbeit.
Dr. Martin Knechtges Thomas Kemper
Katholische Akademie in Berlin e.V. Akademie der Landjugend, Bad Honnef
PROGRAMM
Samstag, 3. November 2012 – für Wochenendgäste
Anreise
18:00 Uhr Begrüßung und Empfang
anschl. Kultur in Berlin
Sonntag, 4. November 2012
ab 10 Uhr Heimatliche Horizonte entdecken
Matinee mit Frühstück
12:00 Uhr Vernissage von ˋHeimatprojektenˊ
anschauen, ansprechen, anregen lassen
13:30 Uhr Begrüßung – offizieller Tagungsbeginn!
14.00 Uhr Leben in der Stadt | Heimatstadt
»Das süße Leben« in Schöneberg
Lesung mit der Autorin Bettina Klix – öffentlich!
16.45 Uhr Was macht einen Ort zur Heimat?
Diskussion und Austausch in der Gruppe
18 Uhr Künstlergottesdienst in St. Thomas von Aquin
19 Uhr »Heimatabend«!?
meine Heimat in die Hauptstadt mitgebracht …
Abendessen mit Beiträgen, Musik und Beisammensein
mit Peter Gößwein (Klavier)
Montag, 5. November 2012
Frühstück
9.00 Uhr Erfahrungen von unterwegs: Heimat in Begegnungen
mit Volker Gerling (Daumenkino)
10.45 Uhr Der Heimat auf der Spur
drei Wanderwege durch die deutsche Hauptstadt
+ Volk, Völker, Bevölkerung
+ Mauern in der Stadt & Mauern im Denken
+ Kultur, Wurzeln, Werte
16.00 Uhr Heimat – Gefühl, Wert, Ressource?
„World Café“ – Gelegenheit zum Austausch und Transfer
19.00 Uhr Abendessen
20.00 Uhr heimatkundig – öffentlich!
Podiumsgespräch