Europa und Israel stehen aktuell im Zeichen eines globalen Kampfes um das Erbe der Aufklärung im Spannungsfeld von Religion und Politik, der sich in regionalen Konflikten niederschlägt. Die Auswirkungen dieses Kampfes um Werte, Weltanschauungen und Narrative auf die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung, die Fragen nach Herkunft und Zukunftsfähigkeit von Gesellschaften sind signifikant.
Wo in kulturpolitischer Hinsicht Fragen nach dem Zusammenhalt der Gesellschaft, der Abgrenzung von „Eigenem und Fremden“ – sprich: die Identitätsfrage eines Volkes, einer Nation, einer Glaubensgemeinschaft – wichtiger genommen werden als die mühsam errungene Unverbrüchlichkeit von Werten wie Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Forschungsfreiheit, stehen grundsätzliche Fragen auf dem Spiel. In einigen europäischen Ländern sehen wir einen Übergang in eine illiberale Gesellschaft. Politische Akteure bringen ihre Verachtung für die prozeduralen Verfahren eines deliberativen Rechtsstaates zum Ausdruck. In der politischen Realität Israels als jüdischen Nationalstaat treten diese Spannungen mit enormer Wucht hervor.
Wir wollen das Symposium zu Ehren des 90. Geburtstages von Rabbinerin Prof. Dr. Eveline Goodman-Thau nutzen, um zum einen die historischen und geistigen Hintergründe der Entwicklungen zu besprechen, die ein Infragestellen der modernen Situation einer traditionsentbundenen, liberalen, pluralistischen und offenen Gesellschaft artikulieren. Und wir wollen vor diesem Hintergrund den Blick auf die besondere Konfliktlage werfen, in der sich der Staat Israel angesichts der aufgeschobenen und fast vergessenen Anstrengungen für einen Friedensprozess mit dem palästinensischen Volk und den arabischen Nachbarstaaten befindet.